Es braucht in Industriebetrieben viel Eigenkapital und starke Eigentümer

Sokraphia
5 min readJun 17, 2020

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In den ersten Wochen der Corona-Krise lag der Fokus in der Unternehmenssteuerung ganz klar auf der Sicherstellung von Liquidität, der Gesundheit der Mitarbeiter, dem Aufrechterhalten von Kunden- und Lieferantenbeziehungen und oft ging es auch einfach nur um das unternehmerische Überleben. Nun gilt es, Schritt für Schritt den Planungshorizont zu erweitern.

Es gibt einige weniger breit diskutierte Aspekte, die den langfristigen Bedarf an Eigenkapital teils massiv steigern könnten. Neben den ohnehin bekannten Effekten einer solchen Krise muss man dahingehende Auswirkungen auf europäische Produktionsbetriebe erörtern.

1. Fragile Lieferketten erfordern höhere Lagerstände

In den letzten 20 Jahren galt es, die Wertschöpfungskette möglichst effizient zu gestalten. Geringere Lagerstände erfordern weniger gebundenes Kapital und ermöglichen höhere Kapitalrenditen. Mit möglichst geringem Vorrat ist man jedoch auf das stete Funktionieren der Lieferketten angewiesen. Durch Corona wird das Bewusstsein für Angebotsschocks auf Lieferantenseite steigen. Große Kunden werden erwarten, zwischenzeitliche Lieferprobleme der eigenen Vorlieferanten abfedern zu können. Der Druck auf Kunden wird von deren Aktionären und Fremdkapitalgebern kommen.

Beispiel: Ein österreichischer Autozulieferer mit einem Umsatz von EUR 100m und einem Einkaufsvolumen von EUR 60m strebte bisher eine Lagerumschlagsdauer von 120 Tagen an, also ein durchschnittliches Lager in Höhe von EUR 20m. Volkswagen ist der größte Kunde. Durch den Druck vom Kapitalmarkt verlangt Volkwagen von seinen Zulieferern eine robustere Lieferkette. Der österreichische Betrieb revidiert daher das Lager-Ziel und peilt 150 Tage an, also EUR 25m Lager. Damit soll ein Monat plötzliche Lieferunterbrechung überbrückt werden können. Es müssen somit 5m — oder 5% vom Umsatz — zusätzlich vorfinanziert werden.

→ Höhere Lagerstände bedeuten mehr gebundenes Kapital und eine geringere Kapitalrendite.

2. Verschlechtern sich die Zahlungskonditionen, vor allem von chinesischen Kunden?

Neben den üblichen Effekten einer Krise auf Umsätze und Erträge besteht zusätzlich die Gefahr, dass sich die Zahlungsbedingungen ändern — weg von teilweiser Vorauskasse hin zu einem immer größeren Teil, der erst spät bzw. bei Abschluss des Projekts bezahlt wird.

Insbesondere bei chinesischen Kunden könnte sich die Working Capital Finanzierung deutlich erhöhen. Chinesische Kunden zahlten bisher beim Kauf von Industriegütern oftmals einen großen Teil vorab oder in der Anfangsphase eines Projekts. Der Effekt bei chinesischen Kunden wäre umso größer, da China in den letzten 10 Jahren seit der Finanzkrise der Wachstumstreiber für viele europäische Industrieunternehmen war. Man darf zweifeln, ob in den nächsten 10 Jahren dieselben Wachstumsraten in und mit China erzielt werden können. Wenn der Druck auf chinesische Unternehmen größer wird, hat das direkten Einfluss auf das Working Capital der europäischen Lieferanten. Es gilt daher in Planungen zu berücksichtigen, dass die durchschnittlichen Lieferforderungen steigen werden.

Beispiel: Ein Produzent von Verpackungsmaschinen für Lebensmittel mit EUR 100m Umsatz exportiert auch nach China. Chinesische Kunden machen EUR 25m des Umsatzes aus. Vereinfacht ausgedrückt zahlten diese chinesischen Kunden bisher bei Bestellung. Angenommen die Zahlungskonditionen ändern sich zu 50% Anzahlung und 50% nach Lieferung, müsste der Maschinenbauer EUR 12,5m zusätzlich zwischenfinanzieren, also 12,5% des gesamten Umsatzes.

→ Höhere Lieferforderungen verlangen es, einen wachsenden Teil des Umsatzes vorzufinanzieren und reduzieren die Kapitalrendite teils signifikant.

3. Nachhaltiger Druck auf die Deckungsbeitragsmargen

Die generell höhere Verschuldung der Staaten und Unternehmen wird zu einem vorsichtigeren Investitionsumfeld führen. Es liegt das Szenario nahe, dass kurz- und mittelfristig das Preisniveau für Industriegüter unter Druck gerät.

Gleichzeitig besteht auf Einkaufsseite die Gefahr von spezifischen Preissteigerungen, falls in einer Produktgruppe weniger Lieferanten als vorher die gleiche Anzahl an Kunden bedienen müssen. Dass auf Lieferantenseite (u.a. in Asien) nicht alle Unternehmen überleben werden, sollte in kritischen Szenarien angenommen werden.

Beispiel: Ein Produzent von Abfüllanlagen für Getränke kämpft mit der Auslastung und gewährt 2% Corona-Rabatt bei Bestellung in 2020. Aufgrund von Lieferengpässen kommt es bei einem relevanten Bauteil zu erhöhter Nachfrage. Um rechtzeitig liefern zu können, wird zum erhöhten Preis zugekauft. Insgesamt erhöhen sich die Herstellungskosten dadurch um 0,5%. Der Deckungsbeitrag sinkt dadurch um mehr als 2 Prozentpunkte und mindert den Gewinn entsprechend signifikant.

→ Niedrigere DB-Margen bedeuten weniger Ertrag und weniger Cash Flow je umgesetztem Euro und damit weiteren Druck auf die Kapitaldecke.

4. Umstieg vom Einmalverkauf hin zum Leasing-Modell braucht enorme Zwischenfinanzierung

Für manche Maschinenbauer könnte der Umstieg vom einmaligen Verkauf hin zur Vermietung von Maschinen ein großes Potenzial für Ertragssteigerungen darstellen. Durch die Digitalisierung ist der Maschinenbauer weiterhin mit den Maschinen verbunden und kann anhand der genutzten Maschinenstunden abrechnen. Auf Basis von gesammelten Daten werden mögliche Verschleißteile proaktiv getauscht und technische Probleme frühzeitig erkannt, wodurch zusätzlich lukrative Serviceverträge verkauft werden können.

Unter bestimmten Voraussetzungen ist die Vermietung für Maschinenbauer auf längere Sicht profitabler. Zudem garantieren wiederkehrende Umsätze eine höhere Planbarkeit. Für den Kunden ermöglicht es wiederum auch in rauerem Wirtschaftsklima, ohne hohe Einmalzahlung in Innovation investieren zu können.

Der Umstieg vom Verkauf einer Maschine hin zur Vermietung erfordert aber eine massive Brückenfinanzierung für die zwischenzeitliche Liquiditätslücke. Diese wird erst dann geschlossen sein, wenn eine ausreichende Zahl an Kunden für konstante wiederkehrende Umsätze sorgt.

Auf kurze Sicht wird ein solches Umsatzmodell wohl nur für eine Minderheit der Maschinenbauer relevant sein. Der Trend hin zu Digitalisierung gepaart mit wirtschaftlichem Druck könnte manch gewohntes Marktumfeld jedoch schneller und radikaler als gedacht verändern. Entsprechende Implikationen für den Kapitalbedarf sollten daher nicht unerwähnt bleiben.

Beispiel: Ein Maschinenbauer macht EUR 100m Umsatz pro Jahr mit dem Verkauf von 100 Geräten zu je EUR 1m. Er beginnt 20% der Bestellungen auf Vermietung umzustellen. Das heißt, ihm fehlen EUR 20m Einmalumsatz. Durch Vermietung nimmt er EUR 4m ein. Im Cash Flow verliert er EUR 16m an Zahlungseingängen, also 16% des Jahresumsatzes. Die höhere Profitabilität greift erst mittelfristig durch stete und gesteigerte Cash Flows.

→ Sobald dieser Trend ein Momentum entwickelt, müssen große Teile des Jahresumsatzes über einige Jahre vorfinanziert werden.

Konklusion:

All die genannten Aspekte erfordern es, dass Unternehmen die Eigenkapitalstruktur nachhaltig und substanziell stärken. Es geht um nicht weniger als die zusätzliche Finanzierung relevanter Teile der Bilanz! Die notwendige zusätzliche Kapitalbindung würde dem gesamten operativen Gewinn einiger Jahre entsprechen, ohne noch laufende Investitionen zu berücksichtigen. Fremdkapital alleine kann und soll nicht dazu dienen, um traditionelle Geschäftsmodelle an die heutigen Herausforderungen anzupassen.

Die Kapitalrendite wird ohne geeignete Maßnahmen signifikant sinken. Unternehmen werden robustere Wertschöpfungsketten aufbauen müssen, um große internationale Kunden gewinnen oder halten zu können. Das Umfeld im Export gerade mit chinesischen Kunden dürfte rauer werden und der Wettbewerb noch härter. Wichtige Initiativen zu langfristigem Erfolg wie die Umstellung des Umsatzmodells hin zur Vermietung von Maschinen werden zuerst einmal viel Geld kosten und Kapital binden.

Die Analyse der genannten Risiken soll keine Angstreaktion auslösen. Ein Unternehmer muss aber bei der strategischen Planung negative Faktoren möglichst spezifisch benennen. Erst dann können langfristige Maßnahmen definiert und deren Umsetzung angegangen werden, um die Wettbewerbsfähigkeit und Ertragskraft des Unternehmens zu stärken.

Es braucht in mittelständischen Industrieunternehmen auch weiterhin starke Eigentümer, die für die Mitarbeiter greifbar sind, vor Ort führen und auf Basis einer guten Eigenkapitalausstattung langfristig in neue Geschäftsmodelle investieren können. Deshalb darf weder eine ausufernde Verschuldung noch eine passive Steuerung des Unternehmens noch ein Verkauf an Fonds die Antwort sein. Das selbstständige, aktive und langfristige Unternehmertum mit tatsächlicher Verantwortung für Firma und Mitarbeiter muss erhalten bleiben, denn nur so können Arbeitsplätze und damit Wertschöpfung in Europa gesichert werden.

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